Haupt- und Nebenthemen – zur Debattenkultur

Besteht im Netz eine unbedingte Transparenzpflicht für Journalisten?

Auch eine Journalistin der alten Schule wagt sich hin und wieder auf schwankenden Boden. So startete ich eine Anfrage in einer lokalen Facebook-Gruppe. Ich wollte erfahren, ob ein Thema journalistisch taugt oder nicht. Es ging um die „Maskenmuffel im Einzelhandel“. Meine Frage richtete sich an Händler meiner Heimatstadt. Gibt es in Zeiten von Corona möglicherweise Probleme mit der Kundschaft, was das verpflichtende Tragen einer Maske zum Schutz vor einer Coronainfektion betrifft? Tragen die Kunden ihre Masken selbstverständlich oder maulen sie? Die Antworten ergaben einen mäßigen Spannungsbogen. Das Fazit: „Ja, im Großen und Ganzen halten sich unsere Kunden dran, es gibt kaum Ärger.“

Nickname vs. Klarname

Ein mir unbekannter Herr, offenbar ein Follower der Gruppe, nahm mein vorsichtiges Vorfühlen in Sachen Maskenmuffeligkeit zum Anlass, mich in rüdem Ton zu maßregeln. Er wies auf „fehlende Transparenz“ in Sachen „klare Identifizierbarkeit“ meiner Person hin. Warum ich nicht unter meinem echten Namen, sondern unter meinem Nickname diese Anfrage startete? Das wäre doch unprofessionell, unerhört, unethisch und überhaupt. In diesem Stil polterte er und machte meinen Vor- und Zunamen mit einem triumphalen Ausrufezeichen sichtbar. So als müsse er es sich und „den Medien“ beweisen.

Was war geschehen? Ich war auf einen Internet-Troll gestoßen. Jemand, der zur Diskussion eines bestimmten Themas in einem Thread blitzschnell eine Nebendiskussion startet. Um seinen pauschalen Unmut über „die Medien“ loszuwerden.

Vom Umgang mit Internet-Trollen

Meine erste Reaktion: Entschieden antworten. Zweite Reaktion: Höflich bleiben. Dritte Reaktion: Den Ärger nicht anmerken lassen. Vierte Reaktion – der Herr hatte sich in Fahrt geschrieben – Gegenangriff. „Wo liegt das Problem?“ fragte ich ihn provozierend und wünschte eine „gute Nacht.“ Immerhin war ich auf dem Foto erkennbar, während er für seinen Accout offenbar ein Symbolbild nutzt.

Die prompte Antwort des verärgerten Gruppenlesers zog ich mir am nächsten Morgen bei einem Kaffee rein. Nicht in Ordnung fände er, dass ich für die AZ (Allgemeine Zeitung) schreibe UND dass ich dabei keinen Klarnamen nutze. Aha. „Ist das denn so schwer zu verstehen?“ brüllte er mich in seinem Kommentar buchstäblich an.

Kritik – ja gern, aber höflich bleiben!

Das öffnete mir die Augen, weshalb viele meiner Kollegen und Kolleginnen nach wie vor die Nase rümpfen, wenn sie an Facebook und Co denken. Sie fassen die sozialen Netzwerke sinnbildlich nur mit spitzen Fingern an, posten so gut wie nichts Persönliches und üben sich in vornehmer Zurückhaltung. Wer kann es Ihnen verdenken?

  • Für meinen Teil beurteile ich die Situation im Nachhinein wie folgt:
  • Ich bin stolz auf mich, keinem Impuls nachgegeben und den unliebsamen, weil kritischen Thread nicht blockiert zu haben.
  • Ich bin froh, höflich beim „Sie“ geblieben zu sein, auch wenn das in sozialen Netzwerken üblicherweise anders gehandhabt wird, wie mir der unwirsche Mann weiterhin in belehrendem Ton mitteilte.
  • Ich bin froh, meinen Standpunkt klar ausgesprochen und mich nicht auf diese unwürdige Diskussion über „die Medien“ eingelassen zu haben.
  • Ich fühle mich wertgeschätzt, denn es gibt zahlreiche „Mitleser“, die mir ihre „Likes“ schenkten und dem Herrn ordentlich Paroli geboten haben.

    Mehr Information – weniger Krawall?

    Ein weiterer Punkt in dieser Liste: Ich bleibe auch selbstkritisch. Was wäre, wenn sich mehr Kommentatoren dem wütigen Leser angeschlossen hätten? Würde dies meine Haltung, im Netz mit Nickname zu agieren, ändern? Die Klarnamenspflicht von Facebook wurde in einem richterlichen Beschluss 2018 gekippt. Ob eine, von Teilen der Politik dennoch geforderte Klarnamenspflicht im Netz etwas an der Debattenkultur ändern würde, sei dahingestellt.

Wir Journalisten leben in der virtuellen und analogen Öffentlichkeit in einem Dilemma der Wahrnehmung. Wir sind Journalisten und Privatperson in einem. Facebook unterscheidet hier nicht. Im Netz sind alle „Freunde.“ Das kann schwierig werden.

Vorläufiges Fazit

Meine Intention als Journalistin habe ich im besagten Beispiel-Thread deutlich gemacht. Wer unter meinem Nickname in den Infos nachschaut, findet sofort die richtige Einordnung. Reicht das nicht? Was berechtigt Personen, die im Netz stöbern und krawallieren, noch mehr über mich zu erfahren?

Letztlich hat die unverhältnismäßige, herabsetzende Ansprache besagten Facebook-Nutzers nur eines gezeigt: Im Netz verhält sich jeder sehr viel schneller ungehemmter so, wie er wirklich ist. Weil die vermeintliche Anonymität offenbar jede Kinderstube vergessen lässt. Weil einem der Spiegel, der von anderen Mitlesenden vorgehalten wird, die eigene Grenzüberschreitung noch viel zu klein erscheinen lässt. Und eine pauschale, gerechte oder ungerechte Medienkritik das eigene Mütchen kühlt und das Ego offenbar aufwertet.

Wie heißt es bei Meat Loaf so schön: „Objects in the mirror may appear closer than they are.“

Trolle im Netz sind ein Ärgernis, aber überlebbar. Denn sie schaden vor allem einer Person: Sich selbst.